Vielleicht kennst du dieses Gefühl: ein trockener Mund, ein belegter Hals, das Bedürfnis, öfter tief Luft zu holen – ohne wirklich zur Ruhe zu kommen. Viele Menschen atmen ganz selbstverständlich durch den Mund, oft ohne es zu merken. Was unscheinbar wirkt, hat jedoch spürbare Auswirkungen auf Atemgesundheit, Nervensystem und geistige Präsenz. Warum du besser durch die Nase atmen solltest – und was die moderne Medizin und die Jahrtausende alte Yogaweisheit dazu sagen – das erfährst du in diesem Beitrag.
Warum soll der Atem durch die Nase fließen?
Die kurze Antwort: weil die Nase genau dafür gemacht ist. Das ist ihre primäre Funktion.
Bei der Einatmung durch die Nase passieren mehrere Dinge:
- Die Atemluft wird angewärmt. Vor allem bei einem Winterspaziergang an der frischen Luft wird dies gut spürbar und der Unterschied zwischen Mund- und Nasenatmung besonders deutlich.
- Die Atemluft wird gefiltert. An den Nasenhärchen und dem Nasensekret bleiben Schmutz, Pollen und Staubpartikel aus der Umgebungsluft hängen. Die Luft, die von dort aus weiter durch die Atemwege fließt, ist also etwas sauberer.
- Die Atemluft wird angefeuchtet. Auch das ist sehr wichtig für das Feuchtigkeitsgleichgewicht in Nase, Mund, Rachen und den tieferen Atemwegen.
Darüber hinaus ist die Nasenhöhle, durch die die Atmung fließt, mit den Nasennebenhöhlen verbunden: Diese speichern und spenden ebenfalls Wärme und ihre Schleimhäute tragen zur Befeuchtung und zur Immunabwehr bei.
Was passiert, wenn man gewohnheitsmäßig durch den Mund atmet?
Wer ständig durch den Mund atmet, umgeht all diese wichtigen Funktionen der Nasenatmung. Die Atemluft wird also nicht angewärmt, befeuchtet oder gefiltert.
Welche Beschwerden daraus entstehen können, darüber konnte ich kürzlich mit einer befreundeten Logopädin sprechen. In ihrem Beruf unterstützt sie nicht nur Kinder bei der Sprechentwicklung und bei Sprachstörungen. Sondern sie betreut auch Patienten mit zum Teil erheblichen Atem- und Schluckbeschwerden. Wenn jemand gewohnheitsmäßig über einen langen Zeitraum nur durch den Mund atme, sehe man das bei der Untersuchung meist recht deutlich, so die Logopädin.
Sie möchte in diesem Beitrag nicht namentlich erwähnt werden, war aber gern bereit, die Zusammenhänge zu erläutern: „Wenn die Einatemluft durch die Mundatmung nicht angewärmt oder befeuchtet wird und ständig kalte, trockene Luft durch Mund und Rachen fließt, wirkt sich das auf die Schleimhäute aus. Diese sind irritiert und reagieren möglicherweise mit Schleimproduktion oder dem Gefühl, räuspern zu müssen. Im Winter wird die Austrocknung durch Heizungsluft begünstigt.“ Bei Menschen mit Erkrankungen der Atemwege oder des oberen Verdauungstrakts kann die Mundatmung zusätzliche Beschwerden begünstigen.
Und sie erklärte weiter: „Darüber hinaus verändert sich die Atemtiefe durch die Mundatmung. Die Atemzüge sind oft oberflächlicher und flacher als bei der Nasenatmung.“ Dies hat direkte Auswirkungen auf das Nervensystem und die Stressbewältigung. Denn vor allem die tiefe, ruhige Bauch- bzw. Zwerchfellatmung hilft, das parasympathische Nervensystem zu aktivieren – also den Teil des Nervensystems, der für Entspannung, Verdauung und generell Regeneration zuständig ist. Lies gern hier weiter über die 5 (+1) Merkmale der gesunden Atmung.
Es ist also nicht nur ein Klischee: Die dauerhafte Mundatmung ist tatsächlich nicht gut für den Körper. Und die Nasenatmung beugt vielen gesundheitlichen Problemen vor.
Wie verbessert die Nasenatmung Achtsamkeit und Bewusstsein?
Zu der körperlich-funktionalen Beschreibung aus der Medizin bringt die Yogatradition noch weitere Blickwinkel mit dazu. Auch im Yoga und vor allem in der Meditation wird bevorzugt durch die Nase geatmet. Es gibt zwar einzelne Atemübungen und auch Kriya-Meditationen, bei denen durch den Mund ein- oder ausgeatmet wird. Wenn das der Fall ist, dann hat das aber immer einen konkreten Grund, eine besondere Wirkung – und findet nur kurzzeitig statt.
Die weisen Yogis haben aber auch überliefert, dass verschiedene Punkte im Körper eine ganz eigene Bewusstseinsqualität zugänglich machen, wenn Atem und Aufmerksamkeit dort verweilen. Einer dieser besonders wichtigen Bereiche ist der Eingang der Nasenlöcher, wie Pandit Rajmani Tigunait, der spirituelle Leiter des Himalayan Institute, lehrt:
„Der Verstand hat die einzigartige Art und Weise, jene Erfahrung zu registrieren, die entsteht, wenn die vereinten Kräfte von Geist und Atem mit der Öffnung der Nasenlöcher und dem entsprechenden Raum in Berührung kommen. […] Der Geist ist in der Gegenwart geerdet. Er ist frei von den Ablenkungen der Vergangenheit und Zukunft und befindet sich vollständig im Hier und Jetzt. Alle geistigen Fähigkeiten sind zu einem einzigen Brennpunkt gekommen – der Öffnung der Nasenlöcher. Dies ist Achtsamkeit.“
(Pandit Rajmani Tigunait in „Vishoka-Meditation. In innerer Freude ruhe: Effektive Yoga-Techniken für mentale Stille, Klarheit, Ausgleich, Wohlbefinden“, übersetzt von Dr. Michael Nickel)
Den Atemfluss an den Nasenlöchern zu spüren, schenkt uns also einen Moment der Freiheit – unabhängig von Vergangenheit und Zukunft – und den Zugang dazu, dass der Geist still, freudvoll und frei von Ablenkungen werden kann. Genau das nutzt die Vishoka-Meditation, um die Erfahrung tiefer, bedingungsloser Freude und das innere Leuchten des Geistes hervorzubringen.
Wie beeinflusst die Nasenatmung die Lebensenergie (Prana)?
Yogische Atemübungen nutzen die Nasenatmung außerdem, um Zugang zu Prana, der ureigenen Lebensenergie, zu gewinnen. An den Nasenflügeln enden die Energieleitbahnen Ida Nadi und Pingala Nadi, denen ganz eigene Qualitäten zugeschrieben werden. Meist ist eine dieser Energien vorübergehend dominanter – und das zugehörige Nasenloch offener bzw. freier. Das ist vollkommen normal.
Wenn Atem, Energie und (mentale) Aktivität jedoch nicht im Einklang sind, kann das Gefühl entstehen, „mit dem falschen Fuß aufgestanden“ zu sein. In der Wechselatmung und in verwandten Übungen wird deshalb der Atem auf eine ganz bestimmte Weise durch die Nasenlöcher geleitet. Nicht nur, um den Luftstrom in den Nasenlöchern auszugleichen, sondern auch um die Energiekanäle zu reinigen und die gegensätzlichen Energien von Ida und Pingala Nadi auszubalancieren – damit wir uns insgesamt ruhiger, zentrierter und ausgeglichener fühlen. Wenn du Schwierigkeiten mit der Wechselatmung hast, lies dir hier meine Tipps dazu durch.
Sowohl die moderne Medizin als auch die Jahrtausende alte Yogaweisheit empfehlen also aus guten Gründen, durch die Nase zu atmen. Daher pflege die Nasenatmung ganz bewusst – Körper, Geist und Energie werden es dir danken.


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