Weihnachten hat eine besondere Art, uns mit uns selbst zu konfrontieren. Kaum beginnen die Feiertage, melden sich Erinnerungen, unausgesprochene Wünsche und erste Gedanken ans neue Jahr. Dein Körper, deine Atmung und dein Geist zeigen dir, was jetzt wichtig ist – und was du nächstes Jahr wirklich brauchst.
Weihnachten: Wenn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen
Ist dir mal aufgefallen: Weihnachten ist nie einfach nur Weihnachten. Nie einfach nur das Fest hier und jetzt. Sobald wir den letzten Arbeitstag hinter uns haben und in die Feiertage eintauchen, befinden wir uns auch schon in dieser seltsamen Zeit „zwischen den Jahren“. In dieser Phase, in der wir einerseits jegliches Zeitgefühl verlieren und in der andererseits Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft allesamt greifbarer denn je erscheinen.
Zeit ist ein seltsames Phänomen, gerade an Weihnachten. Ich habe dieses Jahr vor der Bescherung noch eine Yogastunde unterrichtet, inspiriert durch „A Christmas Carol“ („Eine Weihnachtsgeschichte“) von Charles Dickens. In dieser Erzählung wird der hartherzige und geizige Ebenezer Scrooge nachts von drei Geistern besucht: dem Geist der vergangenen Weihnacht, dem Geist der diesjährigen Weihnacht und dem Geist der Zukunft. Jede dieser Gestalten führt ihm Teile seines Lebens vor Augen, die ihn zum Nachdenken zwingen.
Alle Jahre wieder … beginnen wir über unser Leben nachzudenken
Und auch wenn wir nicht so ausgesprochen unsympathische Zeitgenossen sind, wie Charles Dickens seine Hauptfigur in dieser Geschichte gezeichnet hat – wir alle haben unweigerlich Momente an den Feiertagen, an denen wir über unser Leben berichten und darüber nachdenken.
- Wir stellen fest, wie schnell die Zeit vergeht. Hat das Jahr nicht eigentlich erst angefangen? Und plötzlich ist schon wieder Weihnachten!
- Wir treffen vielleicht entfernte Verwandte, die wir nur selten sehen, und beantworten Fragen, wie es uns in den letzten Monaten ergangen ist.
- In den USA ist es auch weit verbreitet, mit einem „Christmas Letter“ einen persönlichen Jahresrückblick an Familie und Freunde zu verschicken.
Und dabei wird vielen von uns natürlich bewusst, was wir uns anders gewünscht hätten. Haben wir das erreicht, was wir uns vorgenommen hatten? Entwickelt sich unser Leben in eine Richtung, wo wir auch tatsächlich hin wollen?
In solchen Fragen und stillen Überlegungen offenbaren sich auch uns die Geister der Weihnacht. Und schon nehmen die guten Neujahrsvorsätze Form an.
Was sagt dir dein Körper über deine Vergangenheit?
Yoga bietet einen gut spürbaren Weg, sich mit den Geistern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinander zu setzen.
Der Geist der Vergangenheit begegnet dir (nicht nur an Weihnachten, sondern jeden Tag!) in deinem Körper: Wie du dich in deinem Körper fühlst, hängt zum großen Teil davon ab, was du in den letzten Stunden, Tagen, Wochen, Monaten und Jahren getan – oder nicht getan – hast.
Dein Körper: was du jetzt spürst, ist ein Echo
- Wie fühlst du dich, wenn du richtig gut geschlafen hast? Und wie fühlst du dich, wenn du mal wieder viel zu spät ins Bett gegangen bist?
- Wie fühlst du dich am 2. Weihnachtsfeiertag, wenn du Tage lang zu viel gegessen und dich kaum bewegt hast?
- Wie fühlst du dich am Morgen nach der Weihnachtsfeier, wenn dein Körper noch die Nachwirkungen von reichlich Glühwein mit Schuss verarbeitet?
- Wie fühlst du dich, wenn du ausgeschlafen, einen Spaziergang an der frischen Luft gemacht und etwas Nahrhaftes und Gesundes gegessen hast?
Dein Körper zeigt dir deine Beziehung zur Vergangenheit. Im negativen Sinne: wie die unangenehmen Verspannungen, wenn dir der monatelange Stress sprichwörtlich im Nacken sitzt. Aber auch im positiven Sinne: wenn du dich stark, beweglich und energiegeladen fühlst, weil du deinen Körper regelmäßig mit Sport oder Yoga trainiert hast.
Der Körper: ein Archiv deiner Erfahrungen und Gefühle
Im Yoga heißt es oft, dass Stress und angestaute Emotionen und Erfahrungen in der Hüfte „gespeichert“ werden, da der Iliopsoas eng mit dem Nervensystem zusammenhängt. Auch die Faszienforschung hat in den letzten Jahren in immer mehr Studien eine Verbindung zwischen dem Zustand unseres Fasziengewebes und emotionalen Spannungen, Stress und Traumata zeigen können.
In der Weihnachts-Yogastunde haben wir deshalb vor allem mit Seitbeugen und Hüftöffnern Anspannung und Enge losgelassen, die sich bei vielen eingeschlichen hatte. Die Asana-Praxis ist daher immer auch eine achtsame Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Dabei verbessert sich nicht nur das körperliche Wohlbefinden – ganz häufig lösen sich auch angestaute emotionale Spannungen.
Was verrät dir dein Atem über deine Gegenwart?
In Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte gewährt der Geist der Gegenwart einen objektiven Blick in das, was gerade geschieht. Bis dahin kreiste Ebenezer Scrooge nur um sich selbst und seine gewohnheitsmäßigen Gedanken. Nun sieht er, was die Menschen an Weihnachten bewegt, denen er bisher wenig Beachtung und Mitgefühl entgegenbrachte.
Der Geist der Gegenwart (im übertragenen Sinne) hilft also, achtsam wahrzunehmen, was tatsächlich präsent ist – anstatt das Leben immer wieder durch die Brille derselben Annahmen, Erwartungen und Erfahrungen zu sehen.
Dein Atem: der Spiegel deiner inneren Welt
Die Gegenwart begegnet dir in jedem einzelnen Atemzug. Denn deine Atmung spiegelt dir ganz unmittelbar, was in deinem Inneren gerade los ist:
- Hast du schon mal beobachtet, dass du instinktiv die Luft anhältst, wenn du dich erschreckst oder Angst hast?
- Dass du gepresst und voller Druck atmest, wenn du wütend bist?
- Oder dass der Atem flach und oberflächlich fließt, wenn du angespannt und gestresst bist?
- Und dass deine Atmung viel ruhiger, weicher und müheloser wird, wenn du dich entspannt, ausgeglichen und glücklich fühlst?
Jede Gefühlslage wird von einem ganz eigenen Atemmuster begleitet – meist ohne dass es uns bewusst ist.
Dein Atem: der Anker im Hier und Jetzt
Das Schöne ist aber auch: Allein dadurch, dass du deinen Atem bewusst wahrnimmst und spürst, wie die Einatmung und die Ausatmung durch die Nase fließen, verankerst du dich in der Gegenwart.
Du spürst den Atem genau jetzt! Nicht in der Vergangenheit, in der dich etwas geärgert oder gestresst hat. Nicht in der Zukunft, in der viel Unbekanntes auf dich wartet. All das ist für diese Atemzüge hier und jetzt völlig irrelevant.
Immer mit der Aufmerksamkeit zum Atem zurückzukehren, hilft damit auch, deine Situation insgesamt klarer und unverzerrt zu sehen – so wie Scrooge als unbeteiligter Beobachter einen umfassenderen Einblick bekommt, als er mit dem Geist der Gegenwart auf Reisen geht.
Dein Atem: das Hier und Jetzt verändern
Aber nicht nur das. Du musst deinen Atem nicht nur beobachten, sondern kannst ihn beeinflussen – und damit gleichzeitig auch Einfluss nehmen auf dein Nervensystem, deine Gedanken, deine Gefühlswelt und deine Lebensenergie (Prana). Mit den yogischen Atemübungen (Pranayama) veränderst du gezielt dein Atemmuster und du lernst, wie du Prana spüren, lenken und ausgleichen kannst.
Denn die Verbindung zwischen Atmung und der inneren Welt funktioniert in beide Richtungen. Wie du dich fühlst, hat einen Einfluss darauf, wie du atmest. Und wie du atmest, hat einen Einfluss darauf, wie du dich fühlst: emotional, mental und in deinem Energielevel.
Mit den richtigen Atemübungen wird es leicht,
- das Gedankenkarussell zu verlangsamen
- nach einem stressigen Tag gut einzuschlafen
- bei MRT-Untersuchungen trotz Platzangst ruhig zu bleiben
- auch bei einer übervollen To-do-Liste klar und fokussiert zu bleiben
Aus genau diesem Grund beginnen alle Meditationen, die ich praktiziere und unterrichte, mit dem Atem. Denn wenn du weißt, wie du dich über den Atem jederzeit in die Ruhe zurückführen kannst, dann gleitet der Geist wie von allein in einen meditativen Zustand.
Und genau dort begegnet dir der Geist der Zukunft.
Welche Zukunft formt sich in deinem Geist?
Ein Satz, der dir bei mir immer wieder begegnet und den ich nicht müde werde zu betonen: Dein bestes Leben beginnt in deinem Kopf. Mit den Gedanken, der Grundhaltung, dem Weltbild und den Glaubenssätzen, die wie eine getönte Brille deinen Blick färben. Sie beeinflussen unter anderem, ob du eher Chancen siehst oder Probleme, was du dir selbst zutraust (oder auch nicht) und was du in deinem Leben für möglich und erreichbar hältst.
Vieles davon steuert jeden Tag vollkommen unbewusst, wie du denkst, handelst, reagierst und kommunizierst.
Dein Geist: bewusst werden, welche „Programme“ im Kopf laufen
In der Meditation lernst du deinen Geist und seine Funktionsweise besser kennen. Mit der Zeit wird dir bewusst:
- Welche Gedanken(muster) wiederholen sich immer wieder?
- Zu welchen impulsiven Reaktionen neigst du in bestimmten Situationen?
- Was ist dir Ursache hinter solchen Reaktionen und hinter verschiedenen Gefühlen?
- Welche tieferen Beweggründe stecken hinter so mancher Entscheidung, die du getroffen hast?
Dies ist der Moment, in dem du die Gestaltungsfreiheit für deine Zukunft zurückgewinnst. Denn nur das, was dir bewusst ist, kannst du verändern.
Dein Geist: bewusst gestalten, wie du deine Zukunft erleben möchtest
Wer länger meditiert, kennt es zweifellos: Manchmal wird Meditation wirklich unbequem. Nicht das Sitzen an sich, sondern vor allem die Tatsache, dass du dich selbst und dein Leben viel klarer siehst. Dass du vielem, was du zuvor gern unter deinen eigenen „inneren Teppich gekehrt“ hast, nicht mehr ausweichen kannst. (Deshalb ist Stille manchmal so schwer auszuhalten.)
Dieses bewusste Hinschauen stellt uns vor die Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen: Lassen wir die Dinge sehenden Auges so weiterlaufen, obwohl uns klar wird, dass uns bestimmte Muster, Dynamiken oder Personen nicht gut tun? Oder nehmen wir die Herausforderung an, etwas zu verändern?
- Was macht eine Person anders, die das Leben führt, das du dir wünschst?
- Welche Gewohnheiten hat eine Person, die ausgeglichen, entspannt, erfolgreich und voller Freude ihre Ziele erreicht?
- Welche Gedanken und Überzeugungen hat diese Person?
- Was müsstest du tun (oder nicht mehr tun), um diese Person zu werden?
Dein Geist und der Mut, dir deine innere Freiheit zurückzuholen
Alles beginnt mit Bewusstsein – und den Entscheidungen, die wir aus diesem Bewusstsein heraus treffen. Genau das ist die Macht und die innere Freiheit, die in deinem eigenen Geist schlummern.
Deshalb ist auch der Geist der Zukunft bei Charles Dickens besonders imposant. Er braucht kein einziges Wort. Er zeigt einfach nur in der Stille mit dem Finger auf die zukünftigen Konsequenzen, um Ebenezer Scrooge wachzurütteln. Nicht viel anders als das, was in der Meditation geschieht.
- Wie würde dein Leben in einigen Jahren höchstwahrscheinlich aussehen, wenn du nichts änderst und genauso weitermachst wie jetzt?
Es geht aber gar nicht nur darum, allerlei Negatives in deinem Geist aufzudecken. Einer der größten Irrtümer über Meditation ist, dass es nur eine weitere Form der Selbstoptimierung sei. Weit gefehlt!
Meditation ist vor allem ein Weg, deinen Geist wieder zu deinem besten Freund zu machen. Wenn das Nervensystem erst einmal reguliert ist und viele innere und äußere Spannungen abgebaut sind, dann können die eigentlichen Qualitäten deines Geistes wieder zum Vorschein kommen: eine tiefe Freude (Vishoka), die nicht von äußeren Umständen abhängig ist, und ein ganz reales inneres Leuchten (Jyotishmati).
Wenn sich dein eigener Geist wie dein bester Freund anfühlen würde, leuchtend und voller Freude wäre – wie würde sich dann dein Erleben im Alltag verändern?
Mit dieser (ganz realen und erreichbaren!) Perspektive eröffnet dir die Meditation ein neues Tor in deine Zukunft. In meinen Kursen oder 1:1 begleite ich dich gern dabei.
In Charles Dickens‘ Weihnachtsgeschichte hat Ebenezer Scrooge seine Zukunft neu geschrieben – was machst du mit deiner?


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