Gesunde Atmung: Die 5 (+1) Merkmale

Wie atmest du eigentlich? Gesunde Atmung hat 5 Qualitäten.

Wir meinen oft, dass Atmen das Selbstverständlichste auf der Welt ist, das keinerlei Aufmerksamkeit erfordert. Und doch haben wir erschreckend schlechte Atemgewohnheiten! Diese sind nicht nur ein Ausdruck oder eine Folge von Langzeitstress, sondern sie können unsere Stress-Spirale auch am Laufen halten, wenn wir nicht darauf achten. In diesem Beitrag schauen wir uns deshalb an, was eigentlich eine gesunde Atmung ist, wie du sie üben kannst und wie sie dir den Zugang zu mehr Wohlbefinden und einer tieferen Meditation schenkt.

Warum gerade du die gesunde Atmung üben solltest

Warum möchtest du dich mit deiner Atmung beschäftigen? Möchtest du dich wohler, entspannter und weniger gestresst fühlen, ohne komplizierte Techniken lernen zu müssen? Wunderbar! Dann ist der Atem deine erste Anlaufstelle! Denn die Atmung ist die einzige Schnittstelle, über die du direkten Einfluss auf dein autonomes Nervensystem nehmen kannst.

Oder wünschst du dir eine bessere Konzentration und tiefere Erfahrungen in deiner Meditation? Auch dann ist die gesunde Atmung der Schlüssel. Lass dich von der vermeintlichen Einfachheit dieser Atemübungen nicht täuschen. Eine fortgeschrittene Meditationspraxis basiert darauf, dass das Fundament stimmt. Deshalb werfen wir hier einen Blick auf die Lehren der Meditationstradition aus dem Himalaya, wie sie von Swami Rama vermittelt wurden und heute von Pandit Rajmani Tigunait, dem Leiter des Himalayan Institute, weitergeführt werden. 

Egal, wo du stehst: Die Übungen zur gesunden Atmung sind perfekt für dich!

Pandit Rajmani Tigunait betont:

„Wenn unsere Atmung gestört ist, verschwenden wir Zeit damit, mit unserem Körper und Geist zu kämpfen, und haben weder Zeit noch Energie für die Meditation selbst. Eine ausgewogene Atmung ist auch entscheidend, um die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden wiederherzustellen. Eine gesunde Atmung messen wir an ihrem gleichmäßigen, mühelosen und ruhigen Fluss.“

Pandit Rajmani Tigunait in seinem Buch „Vishoka Meditation“

Dies können wir an 5 konkreten Merkmalen beobachten und üben.

Merkmal 1: Die Atmung fließt tief

Wenn du gestresst oder angespannt bist, atmest du (meist vollkommen unbewusst) flach und oberflächlich in den Brustkorb. Die gesunde Atmung, die Körper und Geist in einen ruhigen, ausgeglichenen Zustand zurückversetzen soll, beginnt deshalb damit, die Bauchatmung wiederherzustellen. 

Genau genommen ist es eine Zwerchfellatmung – denn anatomisch ist es natürlich nicht möglich, „in den Bauch zu atmen“. Bei der tiefen Einatmung bewegt sich das Zwerchfell nach unten und schiebt dabei die Bauchorgane leicht aus dem Weg. Deshalb hebt und senkt sich die Bauchdecke mit jedem Atemzug. 

Die Atmung sollte sich so anfühlen, als würde jeder Atemzug mit einer angenehmen Fülle bis in den Bauch fließen.

Merkmal 2: Die Atmung fließt still

Obwohl der Atem angenehm tief fließt, beobachte einmal, was sich verändert, wenn der Atem dabei auch möglichst geräuschlos wird. Swami Rama sagte:

„Wenn der Atem ruhig ist und weder Forcierung noch Einschränkung gibt, dann wird er natürlicherweise auch geräuschlos sein. Lauter Atem bedeutet entweder, dass man mit Gewalt atmet oder dass es eine Behinderung oder Verstopfung in den Atemwegen gibt.“

Swami Rama in „Die Praxis der Meditation“

Immer wenn der Atem hörbar ist, zieht es außerdem die Aufmerksamkeit unbewusst nach außen. In der Meditation und auch in der Entspannung möchtest du aber den Fokus bei dir behalten – nach innen gerichtet.

Ein tiefer Atem und ein stiller Atem können Hand in Hand gehen.

Merkmal 3: Die Atmung fließt weich

Die Atmung spiegelt deine innere Landschaft wider. Stress und Anspannung machen sich oft auch durch Unregelmäßigkeiten oder Unebenheiten im Atemfluss bemerkbar. Meist haben wir diesen Stress über Jahre so verinnerlicht, dass uns das gar nicht bewusst ist und ein unruhiges Atemmuster zur Gewohnheit geworden ist. Deshalb lade den Atem ein, weicher zu werden – nicht mit Zwang oder Druck, sondern indem du diese Spannung so gut wie möglich loslässt.

Bügle alle Unebenheiten im Atemfluss aus.

Merkmal 4: Die Atmung fließt ausgeglichen

Die Einatmung steht in einem engen Zusammenhang mit dem Sympathikus, also dem Teil des Nervensystems, der für Aktivierung, Mobilisierung und erhöhte Leistungsbereitschaft sorgt. Die Ausatmung hingegen hängt mit dem Parasympathikus zusammen, der für Entspannung, Verdauung und Regeneration zuständig ist. Das Verhältnis von Ein- und Ausatmung zueinander steuert deshalb auch, welcher Teil des Nervensystems die Führung übernimmt.

Für einen ausgeglichenen Zustand lass Ein- und Ausatmung in deiner Atemübung gleich lang sein.

Merkmal 5: Die Atmung fließt nahtlos

Und ein letztes Detail, das für viele von uns richtig viel Übung erfordert: Versuche, die Pausen zwischen den Atemzügen zu eliminieren. Ohne dass sich der Atem dadurch beschleunigt, lass die Einatmung nahtlos in die Ausatmung übergehen. Nach der Ausatmung lass ebenso nahtlos die nächste Einatmung folgen. 

Der Atem fließt nahtlos und ohne Pausen – wie eine endlose Welle.

Dies ist besonders hilfreich, wenn du Schwierigkeiten hast, dich in der Meditation zu konzentrieren. Du kannst es dir so vorstellen: Jede Unterbrechung im Atemfluss ist wie ein „Schlupfloch“ für den Geist, durch das die Gedanken abschweifen können. Ein nahtloser Fluss hilft dabei, dass Atem und Aufmerksamkeit miteinander verschmelzen. So beruhigt sich das Gedankenkarussell und du findest leichter in die Meditation hinein.

Wenn du mehr darüber wissen willst: Hier findest du 3 Strategien, wie du das Gedankenkarussell beruhigen kannst.

Und selbstverständlich: Die Atmung fließt durch die Nase

Eigentlich müssten wir noch eine weitere Qualität ergänzen. Diese wird manchmal nicht mit erwähnt, weil sie als selbstverständlich vorausgesetzt wird: 

Die gesunde Atmung fließt durch die Nase ein und aus. 

Nur weil wir uns den Atem bewusst machen, heißt es nicht, dass wir kräftiger oder gar durch den Mund atmen sollen. 

Gib dir vier Wochen – mindestens!

Swami Rama betonte: 

„Da der Stress und die Belastung des täglichen Lebens die natürlichen Atemrhythmen verzerren, muss man diesen normalen Prozess bewusst wiederherstellen. Dies erfordert zunächst Aufmerksamkeit sowohl während der Meditation als auch während der anderen Aktivitäten des Tages. Obwohl die meisten Schüler dies nicht hören wollen: Man sollte zunächst vier Wochen damit verbringen, sich bewusst um den Atem zu kümmern – um zu lernen, wie man mit dem Zwerchfell atmet, bevor man seine Aufmerksamkeit auf andere Aspekte der Meditation lenkt.“

Swami Rama in „Die Praxis der Meditation“

Vier Wochen meint hier wohlgemerkt: eine tägliche bewusste Übung! Nicht nur einmal pro Woche in einem Atem- oder Meditationskurs. Und zwar ganz egal, ob du dich zum allerersten Mal damit beschäftigst oder schon eine längere Meditationspraxis hast.

Erst wenn diese Qualitäten der gesunden Atmung gegeben sind und die körpereigenen und mentalen Prozesse wieder harmonischer ablaufen, dann ist es möglich, dass die Meditation eine tiefere Ebene erreicht.

Übung 1: Makarasana

Um die Funktion und Kraft des Zwerchfells wiederherzustellen, ist es hilfreich, die Qualitäten der gesunden Atmung zunächst im Liegen zu üben. 

Besonders die Krokodilhaltung (Makarasana) hilft, die rhythmische Bewegung des Zwerchfells zu beobachten und zu verbessern. Für Makarasana lege dich auf den Bauch, die Unterarme quer vor dir (einer über dem anderen) abgelegt. Lege die Stirn auf den Unterarmen ab – die Nase sollte jetzt immer noch zum Atmen frei sein. Drehe nicht den Kopf zur Seite.

In dieser Bauchlage besinne dich nacheinander auf die Merkmale der gesunden Atmung: Lass den Atem tief, still, weich, ausgeglichen und nahtlos werden. Übe dies für einige Minuten, dann dreh dich in eine entspannte Rückenlage zum Nachspüren. 

Makarasana (Krokodilhaltung): Atmen in Bauchlage für bessere Beweglichkeit des Zwerchfells

Übung 2: Sandsack-Atmung

Um dein Zwerchfell zu kräftigen, kannst die Merkmale auch mit der Sandsack-Atmung. Dafür legst du dir in der Rückenlage einen Sandsack quer über den Bauch (er sollte nicht auf den unteren Rippen oder auf den Hüftknochen aufliegen). 2,5 Kilogramm sind zu Beginn ausreichend – wenn du gesundheitliche Beschwerden im Bauchbereich hast, verringere das Gewicht oder lege nur die Hände auf den Bauch. Dann besinne dich wieder auf die Qualitäten der gesunden Atmung und übe sie in ihrem Zusammenspiel. Nach einigen Minuten nimm das Gewicht vom Bauch herunter und versuche noch für einen Moment die gesunde Atmung beizubehalten.

Sandsack-Atmung zur Stärkung des Zwerchfells

Übung 3: Gesunde Atmung im Sitzen

Die Atemübungen im Liegen haben den Vorteil, dass der Oberkörper lang bleibt. Wenn du einige Zeit im Liegen praktiziert hast, kannst du die gesunde Atmung auch im Sitzen üben (auf einem Stuhl oder einem Meditationskissen). Achte darauf, dass du aufrecht sitzt und die Hüfte etwas höher positioniert ist als die Knie. Eine zusammengesunkene Sitzhaltung engt die Körpervorderseite ein und verhindert eine freie und tiefe Atmung.

Im aufrechten Sitz kannst du die Arme vor dem Körper verschränken, sodass sie auf dem Bauch und den unteren Rippen aufliegen. Dieser sanfte Widerstand hilft noch einmal, den Atemfluss bewusster zu spüren und zu steuern. Wenn du die gesunde Atmung ein paar Minuten auf diese Weise geübt hast, leg die Hände entspannt auf den Knien oder Oberschenkeln ab und versuche, die gesunde Atmung noch einen Moment beizubehalten.

Bauchatmung im Sitzen, die Arme vor dem Körper verschränkt

Beobachte, was sich verändert

Bewusstes Atmen bedeutet auch: Du nimmst wahr, wie sich deine Atmung auf dein Wohlbefinden auswirkt. Deshalb halte immer wieder inne.

  • Wie fühlst du dich vor der Übung (körperlich, mental, emotional)?
  • Wie fühlst du dich nach der Übung?
  • Wie erlebst du deinen Alltag, wenn du diese Übungen täglich machst?
  • Wenn du außerdem eine Meditationspraxis hast: Wie verändert sich deine Meditation mit der Zeit?

„Das Atembewusstsein ermöglicht es uns, einen ungestörten und freudvollen Geist zu schaffen. Wenn der Atem beginnt, frei und sanft durch beide Nasenlöcher zu fließen, erreicht der Geist einen Zustand der Freude und Ruhe. Ein solcher mentaler Zustand ist notwendig, damit der Geist in tiefere Bewusstseinsebenen reisen kann.“

Swami Rama in „Die Praxis der Meditation“

Freude, Ruhe, tieferes Bewusstsein – gibt es eine bessere Motivation, sich täglich mit dem Atem zu beschäftigen? Ich wünsche dir viel Erholung beim Üben!


Stefanie Seher Porträt

Hi, ich bin Stefanie!

Ich unterrichte Yoga und Meditation und schreibe hier darüber, wie du mehr Verbindung, Tiefe und Erfüllung in deiner Praxis finden kannst – und wie du all das in deinen eigenen Unterricht einfließen lassen kannst.


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