Satya: Was ist „echte“ Kommunikation im KI-Zeitalter?

Darstellung eines Gehirns zur Illustration von Intelligenz: eine Hälfte künstlich, die andere Hälfte menschlich. Darunter der Schriftzug: Die Yamas & Niyamas: Satya

In letzter Zeit lese ich immer wieder Social-Media-Posts von Yogalehrer-Kolleginnen, die mich sehr nachdenklich machen. Immer mehr Content wird ganz offensichtlich von KI-Tools getextet. Content, der in der Yogawelt eine besondere „Authentizität“ oder eine persönliche Verbundenheit der vermeintlichen Urheberin mit ihrer Community suggerieren soll. Es wird Zeit, dass wir uns einmal kritisch damit auseinandersetzen, was ChatGPT mit unserem Verständnis von Satya macht – dem yogischen Grundsatz von Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit.

Satya betrifft auch: Was kommunizierst du unter deinem eigenen Namen?

Der Grundsatz der Wahrhaftigkeit steht im Yoga Sutra an zweiter Stelle in der Liste der Yamas und Niyamas, also den ethischen Grundsätzen des Yoga. Dass Social-Media-Profile oftmals eine ästhetisch kuratierte Scheinwelt sind, ist nicht neu. Schon an diesem Punkt könnten wir unser Verhältnis zur Wahrhaftigkeit erforschen. Die zunehmenden Möglichkeiten der generativen KI verstärken das Ganze aber noch einmal deutlich.

Sich beim Schreiben Unterstützung von KI-Tools wie ChatGPT zu holen, finde ich nicht verwerflich. Es wäre realitätsfremd und unsinnig, sich der KI komplett zu verweigern. Ein achtsamer Einsatz von künstlicher Intelligenz kann Routineaufgaben beschleunigen, vielfältigere Ideen in Brainstormings generieren und ja, auch mal die eine oder andere Textpassage optimieren. Denn seien wir ehrlich: Nicht jedem ist die Liebe und das Talent zum Schreiben in die Wiege gelegt worden. Und das ist vollkommen ok.

Absolut kritisch finde ich es aber, jegliche Formulierungsarbeiten komplett an ein KI-Tool auszulagern. 

  • Wer sind wir noch als Menschen, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, unsere Gedanken in eigenen Worten zu formulieren?
  • Wenn wir vor jeder WhatsApp-Nachricht erst einmal ChatGPT konsultieren müssen? 
  • Und wenn diverse Instagram-Posts in der immer gleichen, inhaltsleeren, pseudo-spirituellen KI-Sprache daherkommen? 

Satya oder Wahrhaftigkeit bedeutet auch, dass wir uns der Kommunikation überhaupt stellen. Und dass wir uns die Mühe machen, uns und anderen unsere eigenen Gedanken zuzumuten.

Plädoyers für „echten“ Content und „Verbundenheit“ – getextet von der KI

Eine Yogalehrer-Kollegin postete neulich, sie wolle nicht jeden Tag in Echtzeit auf Social Media präsent sein, um einen Algorithmus zufriedenzustellen. Sie wolle lieber „echten Content“ teilen „mit Bewusstsein“ – auch wenn das bedeute, dass er manchmal etwas verzögert erscheine. Sehr lobenswert! Und in der Grundidee stimme ich ihr vollkommen zu. Aber ausgerechnet dieser Post mit seinen verräterischen Satzstrukturen und Formulierungen stammte ganz eindeutig von einem KI-Tool und nicht aus der Feder dieser Kollegin. „Echtheit“? Welche Ironie!

Ähnliches war auch bei einer anderen Kollegin zu lesen: Sie kündigte an, ihre Angebote ändern zu wollen – für „mehr Verbindung“ und „echten Austausch“. Auch dieser Post von Anfang bis Ende als KI-Text erkennbar. Menschen, die diese KI-Texte nicht als solche wahrnehmen, fühlen sich vielleicht gesehen und angesprochen. Für andere entsteht ein fader Beigeschmack. Denn es ist eben nicht die Kommunikation „von Herz zu Herz“ (auch wenn ChatGPT diese Floskel ausgesprochen gern verwendet), sondern lediglich der Output eines seelenlosen Roboters.

Es geht mir nicht darum, einzelne Personen namentlich zu nennen oder bloßzustellen. Es ist auch gar nicht wichtig, wer diese Kolleginnen sind. Denn sie sind lediglich Beispiele eines viel größeren Trends, der sich in der Yogawelt, aber auch in so ziemlich jeder anderen Branche beobachten lässt. 

Ich greife diese Beispiele heraus, weil sie für mich gravierende Fragen aufwerfen: 

  • Wie „echt“ ist unsere Kommunikation noch in einer Zeit, in der wir alle mit KI-Tools experimentieren? 
  • Wie aufrichtig ist die Verbundenheit, die der weit verbreitete KI-Content vor allem in der Yogawelt suggerieren soll?
  • Und wie lässt sich das mit dem yogischen Prinzip von Satya in Einklang bringen?

Diese Fragen stelle ich nicht nur anderen, sondern genauso mir selbst. Denn auch ich möchte ausbalancieren: Wie kann ich KI-Tools als sinnvolle Unterstützung nutzen, ohne dabei meine Rechte und Pflichten in einer respekt- und verantwortungsvollen Kommunikation aus dem Blick zu verlieren?

Wahrhaftige Kommunikation gibt es nicht ohne Urheber

Dass diese Fragen nicht leicht zu beantworten sind, zeigt sich auch an der Debatte rund um das Urheberrecht im Zusammenhang mit generativer KI. 

Nur „persönliche geistige Schöpfungen“ sind geschützte Werke im Sinne des Urheberrechtsgesetzes (§2 UrhG). Der Deutsche Kulturrat argumentierte in seiner Stellungnahme vom Juni 2023, die bloße Vorgabe eines Prompts reiche in der Regel nicht für einen urheberrechtlichen Schutz, da die Ausgestaltung oder Formulierung dieser Ideen nicht von einem Menschen stamme. Wenn ein ChatGPT-Text also im Grunde gar keinen Urheber hat – wie kann er dann wahrhaftiger Ausdruck eines menschlichen Bedürfnisses nach Verbundenheit sein?

Gleichzeitig wird immer noch juristisch ausgefochten, welche geschützten Werke überhaupt für das Training von KI-Modellen herangezogen werden dürfen. Und der Deutsche Kulturrat schreibt in seiner Stellungnahme weiter: „Die Erzeugnisse von KI können schließlich Haftungsfragen aufwerfen, die ebenfalls genau zu prüfen sind. So ist beispielsweise keineswegs ausgeschlossen, dass ein KI-Produkt ein bestehendes Urheberrecht verletzt, weil kein hinreichender Abstand zu einem benutzten Werk eingehalten wird.“

Damit sind wir in unserer ethischen Kontemplation nicht mehr nur beim Thema Satya (Wahrhaftigkeit), sondern auch schon beim nächsten Yama: Asteya (Nicht-Stehlen).

Wir predigen immer Achtsamkeit: Im Umgang mit KI können wir sie unter Beweis stellen

Wie oben schon erwähnt: ChatGPT und Co. komplett zu verteufeln, wird uns nicht weiterbringen. Dennoch dürfen wir gerade in der Yogawelt die gleiche Achtsamkeit beim Umgang mit generativer KI entwickeln, wie wir sie auch in unserem restlichen Alltag leben und lehren wollen. Das kann bedeuten, dass wir gerade die persönlichen Themen auch persönlich ausformulieren.

Wenn wir mit unserem Content für mehr Echtheit und Verbundenheit eintreten wollen: Warum sollten wir ausgerechnet dabei die Abkürzung eines komplett KI-generierten Textes nehmen? 

Authentizität ist nicht der Weg des geringsten Widerstands.

Stefanie Seher

Geht es nicht genau darum bei der wahrhaftigen Kommunikation, wenn wir das Ideal von Satya anlegen? Ein Mensch offenbart sich anderen, indem er seine Ideen, Gedanken oder Gefühle auf seine eigene, ehrliche Weise zum Ausdruck bringt. Diese Wahrhaftigkeit muss nicht perfekt eloquent sein. Im KI-Zeitalter kann sie sogar gerade bedeuten, sich mit Ecken und Kanten zu präsentieren. 

Eine der größten Herausforderungen in den nächsten Jahren wird für uns sein, unsere Echtheit und unsere Menschlichkeit zu erhalten und nicht im KI-generierten Einheitsbrei unterzugehen. Meine Haltung wird dabei für mich immer klarer: Ich möchte weder generischen KI-Content schreiben (lassen) noch konsumieren. 

Ich möchte dir mit Tiefe, Substanz und Persönlichkeit begegnen. Ganz gleich, ob wir uns schon seit Jahren kennen oder du heute hier zum ersten Mal einen Text von mir liest. Und genauso interessiert mich deine Persönlichkeit – und nicht irgendeine von ChatGPT glatt polierte Fassade.

Ich möchte mich mit Menschen austauschen, die eigene Gedanken haben und diese auch in eigenen Worten ausdrücken können. Das ist für mich ein wesentlicher Anteil von Satya.


Zum Weiterlesen: Die Yamas und Niyamas

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer wachsenden Themenreihe über die Yamas und Niyamas – die 10 ethischen Grundsätze des Yoga, wie sie im Yoga Sutra aufgezählt werden. Hier findest du alle Texte aus dieser Serie:


Stefanie Seher Porträt

Hi, ich bin Stefanie!

Ich unterrichte Yoga und Meditation und schreibe hier darüber, wie du mehr Verbindung, Tiefe und Erfüllung in deiner Praxis finden kannst – und wie du all das in deinen eigenen Unterricht einfließen lassen kannst.


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