„Wenn ich ihn mit einer Büroklammer bewerfe, wird er sich bewegen?“ Eine berechtigte Frage des wenngleich extrem unsympathischen Managers. Denn Walter ist mal wieder „nur kurz auf einem anderen Stern“ – so versunken in seine Tagträume, dass er nicht mal die abfälligen „Major Tom“-Witze seiner Kollegen hört.
„Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ (großartiger Film – unbedingt anschauen, wenn du ihn noch nicht kennst!) spielt sich zu Beginn vor allem in seinem Kopf ab. In seiner Fantasie ist Walter mutig, charismatisch und schlagfertig. Im Hier und Jetzt aber starrt er ins Leere – und wenn er wieder zu sich kommt, ist der besondere Moment auch schon vorbei.
Die Chance, schlagfertig zu sein und den unverschämten Manager in seine Schranken zu verweisen – vertan.
Die Gelegenheit, seine attraktive Kollegin anzusprechen – verpasst.
Die Welt hat sich weitergedreht, bevor er seinen Mut zusammennehmen und eine Entscheidung treffen kann.
Wie oft verpassen wir wunderbare Möglichkeiten, weil wir zu lange in unserem Kopf festhängen?
Was wirklich passiert, wenn wir zögern
So wie Walter geht es erstaunlich vielen von uns. Neulich schrieb mir eine Teilnehmerin kurz vor Kursbeginn: Der Kurs sei eigentlich genau das, was sie jetzt brauche. Aber sie hat die Anmeldung bis zur letzten Minute aufgeschoben. Und plötzlich waren der Arbeitstag stressig, der Kopf voll und die Energiereserven erschöpft. Ihre Nachricht: „Jetzt haben leider die äußeren Umstände die Entscheidung für mich getroffen. Hoffentlich klappt es beim nächsten Mal.“
Möglicherweise wäre ihr Tag anders verlaufen, wenn sie sich früher festgelegt hätte – weil sie von vornherein etwas gehabt hätte, auf das sie sich gefreut hätte und von dem sie wüsste, dass es Körper, Geist und Seele am Abend gut tun wird.
Wenn wir aber die Entscheidung bis zum letzten Moment aufschieben und sie dann den äußeren Umständen überlassen, geben wir unser selbstbestimmtes Leben aus der Hand. Und wundern uns, dass unser Alltag beherrscht wird von Dingen, die wir eigentlich gar nicht nicht wollen.
Innere Freiheit statt äußere Reaktivität
Yoga und andere Weisheitstraditionen betonen, dass wir kein Opfer unserer äußeren Umstände sind. Die Welt – und damit auch unser Alltag – ist eine Projektion unseres Geistes. Unsere Realität und wie wir sie erleben, entsteht durch das, was wir denken und glauben.
Was glaubst du, wie dein Alltag aussehen „muss“? Und stimmt das überhaupt?
Das gesamte Yogasutra von Patanjali hat nur ein Ziel: uns unsere innere Freiheit zurückzugeben. Es ist ein Übungshandbuch, das uns lehrt, wie wir uns von unseren Gedankenschleifen, Identifikationen, Glaubenssätzen und irrtümlichen Wahrnehmungen lösen. Damit da gar keine Missverständnisse entstehen (und damit Yoga nicht einfach nur mit Asana gleichgesetzt wird), hat T.K.V. Desikachar seiner kommentierten Übersetzung des Yogasutra sogar den Titel „Über Freiheit und Meditation“ gegeben.
Es geht also immer darum, durch unsere Praxis freier und selbstbestimmter zu leben. Indem wir diese Entscheidungskraft auch im Alltag kultivieren, bringen wir die Praxis von der Matte oder dem Meditationskissen ins echte Leben.
Ich entscheide, bevor der Alltag es für mich tut – und gestalte damit, in welchen Bahnen mein Leben auf lange Sicht verläuft.
Die Nachwirkungen der Pandemie
Dieses Selbstverständnis hat durch die Corona-Pandemie einen erheblichen Dämpfer erlitten. Die Effekte davon sind auch heute noch deutlich. Mehrere Jahre mit Lockdowns, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen scheinen ein Gefühl von Unsicherheit verstärkt und Verbindlichkeit verringert zu haben.
Nicht nur in der Yogawelt, sondern auch bei anderen Veranstaltungen ist zu beobachten: Die Tendenz zu Last-Minute-Entscheidungen steigt. Workshops, Kurse und Retreats, die vor 5 oder 6 Jahren noch ausgebucht mit Warteliste waren, füllen sich zögerlicher, später, kurzfristiger.
Viele von uns halten sich alle Optionen möglichst lange offen, denn man weiß ja nie. Vielleicht kommt ja was dazwischen. Vielleicht kommt ja noch was Besseres.
Unentschlossenheit ist das Gegenteil von Manifestieren
Nun ist Spontaneität an sich nichts Negatives. Das Problem ist vielmehr, dass viele Entscheidungen nicht mehr aktiv getroffen werden – sondern passiv verschoben, bis „das Leben sie trifft“. Oder in letzter Minute wieder abgesagt. Das ist ein Muster.
Und gleichzeitig boomen Manifestations-Challenges und Social-Media-Accounts voller wohlklingender Affirmationen, mit denen du angeblich im Handumdrehen den „Quantum Leap“ in dein 5D-Traumleben schaffst.
Walter Mitty hat es weder mit zögerlicher Unentschlossenheit noch mit seinen Fantasiereisen geschafft, so viel ist sicher. Sondern er hat das Leben beim Schopf gepackt und sich auf den Weg gemacht.
Das heißt nicht, dass du dir jetzt auch deinen Turnbeutel umschnallen und auf dem Skateboard durch Island reisen musst. Aber beobachte mal:
Welche Entscheidungen schiebst du auf?
- Wartest du mit deiner Meditation bis zum (späten) Abend, statt eine Tageszeit zu priorisieren, zu der du wach und konzentriert bist?
- Buchst du Kurse oder Veranstaltungen, auf die du dich eigentlich freust, erst in letzter Minute – sofern nichts dazwischen kommt?
- Wo flatterst du wie ein Blatt im Wind, statt dir mit Gewohnheiten innere Stabilität und eine klare Richtung zu schenken?
- Was für ein Mensch möchtest du sein – und welche Entscheidungen darfst du dafür wieder selbst übernehmen?
Es geht nicht darum, immer alles richtig machen zu müssen. Sondern es geht darum, nicht auf die perfekte Gelegenheit oder die idealen Rahmenbedingungen zu warten.
Innere Freiheit beginnt genau da, wo du die Verantwortung für dein Erleben nicht mehr nach außen delegierst.
Du darfst dich bewusst entscheiden: für dich und für das, was du in deinem Leben erleben möchtest.
Wenn dein nächster Schritt klar und selbstgewählt sein soll, dann ist mein Workshop „Easy Like Sunday Morning“ am 6. Juli (live und mit Aufzeichnung) für dich. Darin erforschen wir, was du ganz individuell brauchst, um dich wohl und ausgeglichen zu fühlen – und wie du dieses Gefühl bewusst in deinen Alltag bringst. Hier geht’s zu den Infos und zur Anmeldung.
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