Spirituelle Care-Arbeit: Zwischen Hingabe und Honorar

Yoga & Meditation als spirituelle Care-Arbeit

Diese Woche habe ich an einem spannenden Webinar des SanHilda-Netzwerks teilgenommen. Eigentlich ging es um Online-Sichtbarkeit für Frauen in spirituellen Berufen. Aber vor allem ein Punkt hat mich im Nachgang noch länger beschäftigt. Denn die Referentin Jana Kubatzki sagte: Zu den größten Herausforderungen für Frauen auf diesem Gebiet gehört, dass auch ihre spirituelle Arbeit oftmals Care-Arbeit ist – „im kollektiven Denken oft nicht sichtbar und nicht vergütet“ – während „männliche spirituelle Arbeit einen anderen Status hat“.

Ich finde es interessant, Yoga und Meditation mit Blick auf spirituelle Care-Arbeit zu betrachten. In diesem Beitrag geht es ausdrücklich nicht um die Arbeit, die Frauen für die Familie und Kindererziehung leisten und die immer wieder in Konflikt und Kontrast gesetzt wird zur Erwerbstätigkeit. Sondern hier möchte ich einmal mit dir darüber nachdenken, was „Fürsorge als Beruf“ in der Yogawelt bedeuten kann. Ich habe nicht die perfekten Antworten, aber ich finde, es lohnt sich, über dieses Thema zu reflektieren und diese Fragen in den Raum zu werfen. Denn vielleicht kann die Yogabranche hier mit gutem Beispiel vorangehen.

Gehen Männer und Frauen anders an spirituelle Arbeit heran?

Natürlich kann ich nicht für Männer sprechen. (Du bist als Mann in einem spirituellen Beruf tätig? Schreib gern deine Perspektive in die Kommentare!)

Grundsätzlich bin ich überzeugt: Die meisten Menschen (egal welchen Geschlechts), die einen spirituellen Beruf ergreifen, tun dies, weil sie Erfahrungen gemacht haben, die sie mit anderen teilen wollen. Sehr wahrscheinlich haben sie durch ihre eigene spirituelle Praxis einen Weg gefunden, Krisen zu meistern und ein Gefühl von Sinnhaftigkeit zu finden. Aus meinem eigenen Leben kann ich das zumindest bestätigen. 

Sehr wahrscheinlich hat sich auch ihr Verständnis und ihr Erleben von Glück, Zufriedenheit, Freiheit oder Erfüllung radikal erweitert. Auch darin finde ich mich selbst und viele meiner Kolleginnen und Kollegen wieder.

Die Motivation, Spiritualität zum Beruf zu machen, hängt nicht in erster Linie mit Marktanteilen, Margen oder Marketingbegeisterung zusammen. Die Hauptmotivation, davon bin ich überzeugt, ist:

Meine Erfahrungen mit dieser spirituellen Praxis, dieser Methode, dieser Behandlungsform etc. sind so lebensverändernd und bereichernd, dass ich auch anderen Menschen die Möglichkeit geben möchte, solche Erfahrungen zu machen, damit auch ihr Leben (noch) besser wird. 

Wenn spirituelle Arbeit keine Care-Arbeit ist – was dann?

Bedürfnisse intuitiv erfassen, den Raum halten für Emotionen und Erfahrungen, Prozesse der Bewusstwerdung und Selbstreflexion empathisch begleiten, Verbundenheit und Gemeinschaft fördern – all das sind subtile energetische Tätigkeiten, die ein ausgeprägtes Talent zur Fürsorge erfordern. Das gilt für Yoga- und Meditationslehrer, aber auch Coaches, Astrologen, Schamanen etc., ganz unabhängig von ihrem Geschlecht. 

Im Idealfall kann die spirituelle Arbeit also ein Feld sein, wo Fürsorge nicht einfach nur „typisch weiblich“ ist, sondern von allen Beteiligten als Wertmaßstab und Leitbild gelebt wird – und das vielleicht sogar etwas selbstverständlicher als in anderen Bereichen der Gesellschaft.

Natürlich gibt es wie in jeder Branche sicher auch ein paar schwarze Schafe, bei denen Fürsorge nicht zur Hauptmotivation gehört. Und ganz offensichtlich gibt es strukturelle Ungleichgewichte, wie die Arbeit von Frauen und von Männern (ideell und monetär) wertgeschätzt wird. 

Was ich schade finde, ist, dass in all diesen wichtigen Diskussionen der Begriff „Care-Arbeit“ selbst schon fast negativ besetzt ist. „Care-Arbeit“ als Synonym für eine konstante Überstrapazierung und als Symptom einer Gesellschaft, die Fürsorge in erster Linie als Last empfindet und sie deshalb vor allem bestimmten Gruppen aufbürdet.

Auch wenn wir das kollektive Denken leider nicht über Nacht ändern können: 

Es gibt einiges, was wir als Yoga- und Meditationslehrerinnen tun können!

Jana Kubatzki ermutigte in ihrem Vortrag unter anderem dazu, authentisch und unseren Werten entsprechend sichtbar zu werden und dabei zugleich auf die eigenen Grenzen und Energiereserven zu achten. Und sie schlug vor, dass wir uns stärker mit anderen Frauen vernetzen, austauschen und zusammenarbeiten könnten. 

Da gebe ich ihr recht. Auch wenn wir in unserer spirituellen Blase gern von Licht und Liebe reden, gibt es erschreckend viel Konkurrenzdenken und Missgunst – nicht nur geschlechterübergreifend, sondern auch unter Frauen. Wer hat die meisten Instagram-Follower und Likes? Wer bekommt mehr Aufmerksamkeit für seine Kursangebote? Das ist definitiv ein Gebiet, auf dem viele von uns (und da schließe ich mich selbst mit ein) daran arbeiten können, unsere Ideale noch stärker in der Praxis zu leben.

Vor allem aber dürfen wir uns mit der Frage auseinandersetzen:

Welchen Wert messe ich mir, meiner Zeit und meiner Arbeit bei?

Wenn du hauptberuflich Yoga- und Meditationslehrerin bist, ist diese Frage sowieso unumgänglich. Aber selbst wenn du „nur“ nebenberuflich unterrichtest, darfst du dich fragen: Wie wertvoll ist das, was ich mache, eigentlich? 

Was du anbietest, ist nicht nur eine belanglose Freizeitbeschäftigung. 

Das bedeutet: Wir dürfen auch unseren Kursteilnehmerinnen immer wieder bewusst machen, dass wir sie auf der Yogamatte zu einer spirituellen Praxis einladen. Wir dürfen daran erinnern, dass Yoga kein Sport ist. Und wir dürfen an uns selbst den Anspruch haben, mehr als nur eine austauschbare Fitnesseinheit abzuliefern.

Und schließlich dürfen wir uns immer wieder vor Augen führen, welche wunderbare Wirkung unsere Yoga- und Meditationsangebote haben:

  • Wie wertvoll ist es, dass deine dauergestresste Kursteilnehmerin abends endlich wieder gut einschlafen kann und jeden Morgen erholt und ausgeruht in den Tag startet, auch wenn der nächste Meeting-Marathon oder Messetrubel bevorsteht?
  • Wie wertvoll ist es, dass deine chronisch kranke Kursteilnehmerin dank deiner Atemübungen nicht in Panik verfällt, wenn sie im Krankenhaus angespannt auf ihre OP wartet?
  • Wie wertvoll ist es, dass sich der perfektionsgetriebene Leistungsträger in deinem Meditationskurs endlich einmal unperfekt zeigen darf, wütend, ungeduldig oder ratlos sein darf und in seiner ganzen vielschichtigen Menschlichkeit willkommen ist?

In einem spirituellen Beruf dürfen wir zuallererst selbst erkennen, welchen Wert diese Art von Care-Arbeit hat. 

Wir können nicht erwarten, dass andere unsere Arbeit wertschätzen, wenn wir es selbst nicht tun. 

Spirituelle Care-Arbeit wird durch Preise sichtbar

Dazu gehört auch:

  • Du entscheidest, ob du dich damit zufrieden gibst, wenn dir ein Studio 25 Euro für eine Yogastunde anbietet. 
  • Du entscheidest, was und wie viel du kostenlos zur Verfügung stellen möchtest. 
  • Wenn du Kurse auf Spendenbasis anbietest, stell dir einmal die Frage: Machst du das ausschließlich, weil dein Angebot für alle zugänglich sein soll? Oder machst du es (auch), weil es dir unangenehm ist, den Wert deiner Arbeit mit einem klaren Preisschild zu beziffern und eine Bezahlung auf Spendenbasis dir diese Entscheidung abnimmt?

Es gibt viele Möglichkeiten, Kurse zugänglich zu machen oder bewusst kostenfreie Community-Angebote zu schaffen, ohne den Wert der eigenen spirituellen Care-Arbeit zu sabotieren. Auch ich gebe ab und zu kostenlose Vorträge oder Yoga- und Meditationsstunden, zum Beispiel am 10. Juni beim „GaPa Moments“-Sommerprogramm.

Wenn wir wirklich unser Bewusstsein erweitern wollen, dann nicht nur auf der nächsten spirituellen Ebene, sondern auch für Fragen rund um unsere Angebote, Marketing, Sichtbarkeit und Preisgestaltung:

  • Warum mache ich all das auf genau diese Weise?
  • Was nehme ich als gegeben hin?
  • Was vermeide ich?
  • Was möchte ich eigentlich anders machen?

Care-Arbeit und Spiritual Bypassing

Leider ist in spirituellen Kreisen häufig ein schwieriges Verhältnis zu Geld zu beobachten. Karma Yoga, selbstloser Dienst und Nicht-Anhaftung sind hohe Werte, in denen wir uns auf unserem Entwicklungsweg üben dürfen. Die Bhagavad Gita sagt bekanntermaßen:

„Du hast das Recht auf Arbeit, aber nie auf die Frucht von Arbeit.“ (BG 2.47)

Dennoch sind wir Teil dieser materiellen Welt. Und solange nicht auch Karma-Bäcker, Karma-Vermieter und Karma-Stromversorger ihre Angebote als selbstlosen Dienst an der Menschheit verstehen, dürfen und müssen wir uns auch unsere spirituelle Arbeit angemessen vergüten lassen.

Diese Realität nicht anzuerkennen, weil die finanzielle Seite „irgendwie unspirituell“ und Yoga ja schließlich unsere Berufung ist, ist nichts anderes als Spiritual Bypassing – das Vermeiden unangenehmer Themen mit vorgeschobenen spirituellen Begründungen. 

Hier sind Männer tatsächlich im Vorteil. Denn auch wenn Karma Yoga und Nicht-Anhaftung nicht nach Geschlecht unterscheiden, so bekommen Männer, anders als Frauen, doch seit jeher von der Gesellschaft vermittelt, dass ihre (wie auch immer geartete) Arbeit einen Wert hat. Während sich Frauen aufgrund ihrer persönlichen und kollektiven Erfahrungen viel mehr infrage stellen.

Können wir also nicht alle noch viel über spirituelle Care-Arbeit lernen?

Mehr als Berufung: Eine neue Kultur der Fürsorge gestalten

Natürlich wird ein einzelner Blogartikel die gesellschaftliche Ungleichverteilung nicht auflösen. Aber vielleicht kann er ein Impuls sein, der dich dazu einlädt, deine eigenen Muster im Umgang mit Fürsorge, Geld und Sichtbarkeit zu hinterfragen:

  • Wie definierst du den Wert deiner Arbeit – innerlich und nach außen?
  • Wo entziehst du dich deiner eigenen Sichtbarkeit? Und warum?
  • Welche neue Kultur des Miteinanders wünschst du dir für unsere Branche? Und wie kannst du sie mitgestalten?

Was könnte sich verändern, wenn wir spirituelle Fürsorge nicht nur als unsere persönliche Berufung betrachten, sondern uns vor Augen führen, dass wir damit Teil einer riesigen kollektiven Lernaufgabe sind?

Schritt für Schritt können wir dann (sicher mit viel Trial und Error) auch die spirituelle Care-Arbeit so gestalten, dass sie sich nicht zwischen Hingabe und Honorar aufreiben muss, sondern beides integriert. Dass sie Grenzen achtet, ohne sich klein zu machen. Und dass sie ihren Wert kennt – und diesen sichtbar macht.


Stefanie Seher Porträt

Hi, ich bin Stefanie!

Ich unterrichte Yoga und Meditation und schreibe hier darüber, wie du mehr Verbindung, Tiefe und Erfüllung in deiner Praxis finden kannst – und wie du all das in deinen eigenen Unterricht einfließen lassen kannst.


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